Scheidungsgrund „Grisette“

Nachdem Peter Sarabèr, selber von der Ausbildung her Elektriker mit späterem Ingenieurstudium, 1947 Helmut Finke, einen ehemaligen Konstrukteur von Fotoapparaten bei Voigtländer, kennen gelernt hatte wurde das 1945 in Goslar angemeldete Ingenieurbüro im Oktober 1948 zu den Finetta-Kamerawerken umstrukturiert. Gemeinsam brachten sie eine einfache Kleinbildkamera auf den Markt, die „Finette“ – später umbenannt in „Finetta“.

Einer der offiziell angemeldeten Schutzansprüche dieser Kameras war eine „Kleinbildbox“ in „einfacher und preiswerter Ausführung“ und „aus dünnem Blech gefertigt“. Damit sollte kurz nach dem Krieg eine Marktlücke für einfach herzustellende und erschwingliche Kameras geschlossen werden. Die ersten Nachkriegslieferungen der bekannten großen deutschen Kameramarken gingen zum großen Teil an die Siegermächte. Daher konnte zunächst der Bedarf an für den Amateur bezahlbaren Fotoapparaten nicht gedeckt werden.

Kurz nachdem die gemeinsame Entwicklung „Finette“ bzw. „Finetta“ auf den Markt gebracht worden war, konstruierte Helmut Finke für den Auftraggeber Dr. Werner Eulitz eine noch weiter vereinfachte Kleinbildkamera, die „Grisette“. Sie wurde in Schlewecke, einem Ortsteil von Bad Harzburg, hergestellt. Dies führte dann dazu, dass sich Peter Sarabèr von Helmut Finke trennte, der seinerseits zu Franke und Heidecke (Rollei-Werke) in Braunschweig ging. In der Folgezeit übernahm Sarabèr neben der Firmenleitung auch die Entwicklung bzw. Konstruktion der weiteren Finetta-Modelle bis zu der „Finetta 99“.

Die von 1949 bis 1950 hergestellte „Grisette“ besteht aus einem Bakelitgehäuse mit abnehmbarer Blechrückwand mit Eisblumenlack; auch die Objektivplatte und das Bodenblech aus Leichtmetall haben eine Oberfläche in Eisblumenlack. Der Sucher ist ein glasloser Durchlichtsucher. Die Gehäusegröße beträgt 46x135x74 mm, das Gewicht 250 g. Der Fixfokus-Achromat bestand aus einer verkitteten Doppellinse mit einer Brennweite von 45 mm. Der einfache Verschluss lässt nur die beiden Einstellungen „B“ und „M“ zu.

Nach Wikipedia wurde Bakelit als erster vollsynthetisch und industriell hergestellter Kunststoff vermarktet. Er wurde 1905 vom belgischen Chemiker Leo Hendrik Baekeland entwickelt und nach ihm benannt. Der Kunststoff entsteht auf der Basis von Phenol und Formaldehyd.

Im Gegensatz zur eher klobig, bauchig geformten „Finette“ wirkt die „Grisette“ geradlinig schlank und geht mit seinem schwarzen Design späteren Zeiten voraus.

Das dargestellte Exemplar kam vor kurzem aus den Niederlanden zu mir. Aufgrund der geringen Stückzahl der gesamten Produktion der Grisette ist der Preis für ein gut erhaltenes Exemplar höher als der für die recht verbreiteten Finettas.

Die Produktfotos entstanden in gewohnter Weise mit der Fujifilm X-T2 und dem Fujinon 50 mm f2; diesmal ausschließlich unter freiem Himmel mit natürlicher Beleuchtung. Das warme Licht der Abendsonne wurde mit Hilfe einer Farb- und Graukarte in Lightroom korrigiert. Daher wurden die RAW-Dateien für die Lightroom-Entwicklung herangezogen. Blende 11 sollte eine ausreichende Schärfentiefe am Objekt bei gleichzeitiger Unschärfe des Hintergrundes gewährleisten.

 

Nachtrag vom 14.05.2018 zum Begriff „Grisette“:

Wenn man die Übersetzung des französischen Wortes „gris“ als Grundlage nimmt, dann mag man nachvollziehen, dass sprachlich zunächst der einfache, graue Stoff mit dem Begriff „Grisette“ gemeint war und durch dieses quasi Uniform artige Kleidungsstück der Begriff auf unverheiratete Arbeiterinnen („Putzmacherin“) im Paris des 19. Jahrhunderts übertragen wurde. Wikipedia bietet hierzu weitere Informationen

Musikalisch hat Franz Lehar ein Grisettenlied in der Operette „Die lustige Witwe“ komponiert. Hiervon gibt es auf YouTube zahlreiche Interpretationen; beispielhaft eine Version unter der Leitung von John Eliot Gardiner, die nicht in penetrante Trivialität und Banalität abgleitet und den Vorteil bietet, den deutschen Liedtext nachvollziehen zu können.

Giacomo Puccini gab in seiner Oper „La bohème“ (im Paris um 1830) mit der Arie der Mimi „Sì. Mi chiamano Mimì“ wahrscheinlich die bessere Beschreibung der sozialen Verhältnisse einer Grisette ab. Hier eine Aufnahme mit Anna Netrebko aus dem Jahre 2012, die wiederum den Text in Untertiteln bietet. Musikalisch mag man sich möglicherweise aber an der alten Version von Maria Callas mehr erfreuen, so dass man eine Ahnung davon bekommt, warum Puccini mit dieser Oper 1896 einen Welthit geschaffen hat.

 

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