Vor dem 2. Advent

Experimente in Capture One Pro 20.

Ich mag keine überfüllten Weihnachtsmärkte am Samstagabend. Nein, nicht erst seit dem Anschlag auf den Breitscheidplatz, sondern bereits länger. Weihnachtsmärkte haben sich zu beliebigen „Events“ entwickelt. Glühpunschbuden reihen sich wechselnd mit unterschiedlichen Imbissbuden aneinander, garniert mit ein paar Tannebäumen und roten Zipfelmützen sowie neuerdings bunten Blinke-Anhängern, dazu eine Kakophonie von quer musizierenden Flöten und blechernen Posaunen und Trompeten sowie einem allgegenwärtigen Gejingle; ein olfaktorischer Graus aus Brandfisch, Knoblauch, Bratwurst, Glühwein, Eierlikörpunsch und schlechtem Bratfett…

Aber ich konnte meiner Frau den Wunsch nicht abschlagen. Die zahlreichen Reisebusse aus der nahen Ferne auf dem einzigen kleinen Parkplatz unmittelbar vor dem Markt ließen eine gedrängte Enge erwarten. Zur Ablenkung hatte ich die X-Pro2 mit dem 23er/1,4 mitgenommen. Vor Ort hatte ich dann aber doch keine Lust zum Knipsen. Das änderte sich erst als mir der Vorschlag gemacht wurde, einen neu entdeckten Spirituosenladen zu besuchen. Dazu mussten wir über den Andreasplatz an der Andreaskirche vorbei gehen. Hier war es schlagartig menschenleer und ruhig. Dieser schlichte, in sich geschlossene, aber stets zugige Platz, der mich seltsamerweise, trotz der hiesigen Kälte, immer wieder entfernt an die Piazza del Campo (nur mit einer spätgotischen Kirche mittendrin) in Siena erinnert, konnte mich wieder mit dem abendlichen Stadtspaziergang versöhnen; erst recht, als ich auf das fahle Mondlicht, das zwischen den aufreißenden Wolken über der Andreaskirche hervorkam, aufmerksam gemacht wurde. Von alleine hätte ich das gestern nicht bemerkt. Das war also die Start für einige High-ISO-Aufnahmen, ohne Sorge zu haben im Geschiebe Knoblauchsoße oder heißen Glühwein über die Hosen zu bekommen.

Der Schnapsladen war geschlossen, dafür hatte ich einige Aufnahmen im Dunkeln mit viel Rauschen im EVF der X-Pro2 gemacht. Mit den Bildern auf der Karte und einigen neuen Ideen im Kopf war der Zickzackweg zurück über den Weihnachtsmarkt dann etwas kurzweiliger.

Die „Ausbeute“ war eigentlich nicht schlecht. Drei Dateien habe ich aussortiert. Eine Hochkantaufnahme passte nicht zum hier gewählten Bildformat. Autos auf den Aufnahmen hätten mich gestört. Deswegen das breite Format 16:9 mit einem angehobenen Blick. Bei der zweiten Aufnahme hatte ich ein Baugeländer im Sucher übersehen. Und die Dritte war nur ein weiteres Schnapsfoto. Hier also die ersten Ergebnisse aus den verschiedenen C1V20-Experimenten:

 


Notiz-Blog

Bei der Vorankündigung der neuen Version von Capture One mit der Versionsnummer 20 hatte Phase One große Erwartungen geweckt. Als ich nach der Veröffentlichung die Änderungsliste durchgesehen hatte, war tatsächlich mein erster Gedanke, wie bei Anderen offensichtlich auch, Phase One braucht eine Finanzaufstockung. Der übergroße Versionssprung von 12 auf 20 spiegelt sich in den Neuerungen nicht ganz wieder – wenngleich C1V12 ja schon bereits eine hervorragende Software ist, die man noch weiter benutzen kann. So war ich mit dem Update zurückhaltend. Das Vorabangebot der 30%igen Reduktion auf den Updatepreis hatte ich verstreichen lassen, um nicht eine unbekannte Katze im Sack zu kaufen.

Die üblichen Verdächtigen präsentierten bei YouTube ihre ersten Erfahrungen mit den neuen Eigenschaften von C1V20. Voran gingen dabei Scott Williams und Thomas Fitzgerald. Es war dann auch das beeindruckende Bildbeispiel zur Rauschreduktion, welches Fitzgerald in seinem Video aufbot, das mich auf die Idee brachte, die neue Version 20 anhand der hildesheimer Abendaufnahmen einmal auszuprobieren. – Wer weiß, hätte meine Frau mich nicht überredet, mit ihr abends über den Weihnachtsmarkt zu gehen, dann wäre ich vielleicht nicht in Versuchung gekommen, über das (für einen Hobbyisten) kostspielige Update ernsthafter nachzudenken…

Im Handling zeigten die überfälligen Änderungen der Cropfunktion ihre erwartete Wirkung. Womit ich anfangs am wenigsten gerechnet hatte, stellte sich als echte Verbesserung im Handling heraus, nämlich das schnelle Scrollen in der Werkzeugleiste mit geöffneten Funktionen. Ich benutze C1 bisher überwiegend auf einem kleinen 13 Zoll Notebook und dabei ist das Öffnen und Schließen der Werkzeuge zur Übersicht recht lästig.

 

Zauberstab

Neu in der Version 20 ist der oben links in der Symbolleiste positionierte Zauberstab, mit dem man eine automatische Anpassung für die ausgewählten Bilder aktivieren kann. Er sprang mir sofort ins Auge und verleitete mich dazu, ihn an verschiedenen Bildern auszuprobieren. Ich war verblüfft von den Ergebnissen. Nicht, dass die automatische Anpassung immer richtig liegen würde; sie kann aber durchaus ein Ideengeber für die eigene Entwicklung sein. So ist für meinen Geschmack die Aufhellung der Tiefen bei weitem zu stark. Auch die Helligkeit, ein Regler beim Belichtungs-Werkzeug, sowie die Belichtung selber werden bei diesen Nachtaufnahmen übermäßig angehoben. Unter dem Menüpunkt Anpassungen lässt sich die automatische Anpassung konfigurieren (voreingestellt: Belichtung, Kontrast und Helligkeit, HDR, Tonwerte). Bei den Tonwerten ist dieser Zauberstab ebenfalls zu sehen. Er ersetzt dort das Symbol A für die automatische Verschiebung der Tonwertgrenzen in den Vorversionen, was bereits früher schon eine brauchbare Hilfe war. Bei dem HDR-Werkezeug ist je ein eigener Regler für Weiß und Schwarz hinzu gekommen. Beide können immer wieder den Umweg über die Tonwerte und die Kurve ersparen, aber letztlich nicht vollständig ersetzen. Die Regler für HDR und Klarheit sind jetzt in mittiger Einstellung bei 0, so dass auch negative Werte eingestellt werden können. Auch das erleichtert die Arbeit sehr. Das ging bei den einseitig ziehbaren HDR-Reglern zuvor nur über verschiedene Eingriffe bei der Belichtung/Helligkeit, den Tonwerten und mit der (RGB-/Luma-) Kurve.

 

Rauschreduzierung

Erste Beispiele der neuen Rauschreduzierung fand ich beeindruckend. So war das auch der Hauptgrund, warum ich die Kamera bei der abendlichen Runde durch Hildesheim überhaupt mitgenommen hatte. Abendaufnahmen versprachen hohe ISO-Werte. Anhand dieser Aufnahmen wollte ich Teile der Rauschreduktion ausprobieren, wobei ich mich hier nur auf die Auswirkungen des Helligkeitsreglers konzentriert habe und das Farbrauschen unbeachtet ließ. Die RAW-Dateien, die beim Import in C1 lediglich über den Filmtyp bei den Basismerkmalen beeinflusst wurden, weisen recht wenig Rauschen auf (siehe 1. Bild in der folgenden Galerie), sind aber zu dunkel und im Grunde so nicht brauchbar. Alle Varianten der Bildentwicklung erhöhen zwangsläufig die Sichtbarkeit des Bildrauschens, was somit durchaus ein limitierender Faktor darstellen kann. Die Beispiele im 100%-Zoom zeigen die durchaus unterschiedlichen Ergebnisse je nach Bildmotiv.

 

Schärfemaske

Die Schärfemaske gab es schon in der Vorversion von C1. Sie ist eine gute Hilfe beim ersten Durchsehen bzw. Aussortieren der Aufnahmen. Bei Aktivierung werden die scharf dargestellten Bildabschnitte mit leuchtendem Grün markiert. Das Ausmaß der grünen Anzeige kann aber erheblich variieren. Nach meiner Beobachtung ist die Markierung durchweg korrekt. Da ich in Capture One, im Gegensatz zu Lightroom, zumeist keine Schwierigkeiten habe, die Schärfeebene zu lokalisieren, benutze ich die Schärfemaske nur ganz gezielt. In der Tat hilft mir diese Anzeige aber besonders dann, wenn meine Augen nach einem langen Tag ermüdet sind. So auch gestern, als mir beim Durchsehen entgangen war, dass das Huckup-Denkmal im linken Bild nicht im Fokus war, dafür aber die Gebäudefront im Hintergrund.

 

Filmkorn

In einem neuen Video zu Capture One Pro 20 wurde u.a. gezeigt, dass man das digitale Bildrauschen mit der Kornfunktion von C1 modifizieren kann, um durch eine unregelmäßige Kornstruktur dem Bild eine analoge oder „natürlichere“ Wirkung zu geben. Das soll insbesondere bei SW-Bildern gelingen, was ich in dem Video auch nachvollziehen konnte. So habe ich dem Beitragsfoto, das als TIFF-Datei von Silver Efex mit einem erheblichen Rauschen (durch die starke Struktur- und Kontrastanhebung) versehen worden war, ein Korn hinzugefügt. Die Einstellungen in C1 waren dabei wie folgt: Typ „Raues Korn“, Stärke 65 und Körnigkeit 81. Die Galerie zeigt die Ergebnisse in der Übersicht sowie mit einer Vergrößerung von 100%  und 400%. Im nachhinein ist das wohl kein gutes Beispiel.

 


Nachtrag (08.12.2019)

Phase One hat kürzlich einige gute Video-Tutorials zu Capture One Pro 20 herausgegeben. Die Übersicht hierüber sowie über die Gesamtliste der Tutorials, Webinars und Guides ist unter diesem Link von learn.captureone.com zu finden.

 


Noch´n Nachtrag (09.12.2019)

Ich vergaß zu erwähnen, dass es die globale Automatikfunktion bereits vorher gab, aber mit einem „A“ gekennzeichnet war; was ich allerdings immer gemieden hatte. Spät stellt ich fest, dass bei einigen Werkzeugen eine solche Automatik hilfreich sein kann, wie z.B. bei den Tonwerten. Die automatischen Anpassungen sind daher keine neue Eigenschaft der Version 20. Allerdings bin ich dem disneyhaften Gimmick mit dem Zauberstab auf den Leim gegangen, weil er mir als erstes in´s Auge gesprungen war. Warum der Zauberstab nun überall das A ersetzen muss, erschließt sich mir nicht. Ist doch der Begriff „Automatik“ mittlerweile in jeder Sprache angekommen.

Auch Peter Roskothen stellt auf seiner Webseite fotowissen.eu die Neuerungen von C1V20 im Vergleich mit der Vorgängerversion vor und hat gestern ein sachlich-prägnantes Video hierzu veröffentlicht. Seine Einschätzung der geringeren Performance gegenüber C1V12 kann ich nach meinen bisherigen Versuchen auf einem MacBook Pro (macOS High Sierra, Vers. 10.13.6) mit 2,9 GHz Intel Core i5 und 16 GB sowie SSD nicht bestätigen. Allerdings benutze ich auch keine Kamera mit höher auflösendem Sensor wie in dem Video erwähnt (Fujifilm GFX 100), die sehr große Bilddateien liefert. Anhand einer solchen Bilddatei aus der GFX 100 macht er in dem Video die Wirksamkeit der Rauschreduzierung anschaulich. Hier das besagte YouTube-Video von Peter Roskothen:

 

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